Protest à la Dresden

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Dass ich am Montag nach Dresden fahren würde, hatten das kleine Kind und ich schon lange ausgemacht. Ein bißchen Glühwein schlürfen und dann mal gucken, wie das so in Dresden läuft, wenn die Gegendemonstranten von Pegida so weit weg gehalten werden, dass sich die Patrioten wirklich einreden können, sie seien das Volk.

Weil: Widerspricht ja niemand.

Dann gabs ja ausgerechnet zum 21.12. ein bißchen Aufregung. Dem Nopegida-Bündnis war es trotz aller Tricks und Hinhaltestrategien der Stadt gelungen, auf dem Theaterplatz anzumelden. Einmal im November war das ja schon nicht gelungen, weil eben Pegida da stand. Da hat das Orgateam diesmal einfach weit voraus geplant. Trotzdem hats wohl lange gedauert mit der Genehmigung.

Prompt meldete Pegida einen Spaziergang durch die Neustadt an. Die Neustadt war zwar nur in den 90er Jahren mal alternativer als Connewitz, ist aber trotz aller Bemühungen der Stadtpolitiker immer noch das linkeste und alternativste Viertel Dresdens.

Sofort mobilisierte natürlich das Nopegida Bündnis.

Am Ende erlaubte die Stadt, mit Hinweis auf den 12.12. in Leipzig und die Weihnachtsmärkte, nur stationäre Kundgebungen.

Die besorgten Bürger bekamen das Königsufer zugewiesen, wo im Sommer immer mal Konzerte stattfinden und maximal 12000* Leute hinpassen.

Der Theaterplatz blieb „HerzstattHetze“ vorbehalten. Am Neustädter Bahnhof und am Alaunpark andere Kundgebungen, u.a. von Dresden Nazifrei.

Immerhin hatte das alles den Vorteil, dass ich mir, obwohl ich schon mittags anreiste, mein Sachsenticket mit anderen teilen konnte, weil am letzten Montag eben ein paar mehr Leipziger zur Unterstützung in die Landeshauptstadt fuhren.

Weihnachtsmarkt, dabei den Striezelmarkt weit umgehend und dann ab zum Theaterplatz.

Merkwürdige Veranstaltung.

Ich weiß auch nicht, die Dresdner scheinen mir komisch zu sein. Wollen wohl immer und überall beweisen, wie fein- und kunstsinnig sie sind.

Als Protest taugt das allerdings gar nix.

Zumal die besorgten Bürger wohl eher nicht zu den Kunstliebhabern gehören sollten.

Wir überstanden eine seltsame Opernarie.

Dann sang der Chor der Semperoper die „Ode an die Freude“. Provinzler wie wir sind, sangen wir sofort mit.

Und wurden seltsam angeschaut.

Ach, da steht ja auf der Leinwand mit Text immer auch, wann Solo ist und wann alle singen. Wir blieben trotzdem die einzigen.

Ach so, jetzt sagt jemand durch den Lautsprecher, dass wir die Ode nun nochmal singen, und zwar ALLE.

Also nochmal, aber nur die erste Strophe.

Dann ist Ruhe. Kein Redebeitrag. Nicht mal ne Opernarie.

Irgendwie komisch.

Uns zwei alten Frauen ist langweilig und wir fragen das Dresdner Jungvolk, ob wir nicht doch zum Neustädter Bahnhof wollen. Die sind aber so was von froh, hier weg zu können.

Immerhin können wir auf dem Weg dahin mal aufs Königsufer blicken. Also das wird heute nicht voll. Wie da jemand 30000* zählen kann und dann auf 18000* korrigiert, ist mir ein Rätsel. IN der Elbe habe ich keinen gesehen. ISCH SCHWÖR.

Am Bahnhof ist wenigstens Musik. Und es gibt mal den Versuch, zum Theaterplatz zu „spazieren“. Nach 100 m ist Schluss, die Polizei versperrt den Weg und alles geht brav zurück zum Platz.

Die Dresdner sind nicht nur sehr fein-und kunstsinnig, sondern auch sehr brav. Ich frage mich ehrlich, wie die Patrioten auf die Idee kommen, einer der Gegendemonstranten würde denen auch nur ein Haar krümmen.

Der Abend plätschert dahin. Wir laufen mal über Umwege zum Augustusmarkt und Goldenen Reiter. Dort auf der Brücke sollen an die 100 Gegendemonstranten sein. Die scheinen aber nur stumm und verbotenerweise auf das Königsufer zu gucken. Ich höre keine Sprechchöre von da. Auch vom Neustädter Markt aus gibt es keinen verbalen Support für die auf der Brücke.

Wir schlunzen zurück über den Weihnachtsmarkt zum Bahnhof… und verpassen unseren Zug um 10 min.

Die 90 min bis zum nächsten sind fast die aufregendsten des Tages, vor allem auf dem Bahnsteig und im Zug. Auf ersterem nämlich begrüßen die Polizisten eine Gruppe abreisender Patrioten mit ihren Mandies wie alte Freunde. Also die kennen sich wirklich alle beim Namen. Die als links identifizierten Abreisenden werden ans andere Ende des Bahnsteigs eskortiert, wo man schon einen besoffenen randalierenden Kevin im Schach hält. Sollen die doch zusehen, wie sie mit dem leicht aggressiven Typen klar kommen.

Im Zug sind die Türen zwischen den Waggons verschlossen. Keine schlechte Idee, um die Gruppen auseinanderzuhalten. Nur leider sind in der Mitte, wo wir „Normalos“, also alte Frauen und einzeln reisende Gegendemonstranten und andere Reisende, sitzen, die Toiletten kaputt.

Man müsse an einer Station aus- und in den nächsten Waggon einsteigen. Da sei überall alles in Ordnung, versichert die Schaffnerin. Aber nach da sollten wir nicht gehen, da säßen die Linken. Und die seien doch sehr gefährlich. Mit den Rechten, betont sie mehrmals, habe sie gar keine Probleme. Aber die Linken. Nee!

Wir zerfetzen uns. Und es dauert eine ganze Weile, ehe sie merkt, dass sie sich unter lauter gewaltbereiten linken Autonomen befindet. Ich hoffe, sie hat davon keinen Schlag erlitten. Nicht, dass sie doch noch Schaden genommen hat. Denn geschlagen hat sie niemand. Und wir hatten auch alle Fahrkarten. Ehrlich.

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10 Antworten zu Protest à la Dresden

  1. Herr Ärmel schreibt:

    Vielen Dank für Deinen Bericht. Ich habe schallend aufgelacht. Weil ich hatte am Wochenende Besuch aus Dresden, der hat von den Bewohnern dieser Stadt (pauschal) auch einiges merkwürdige zu berichten. Ganz anders, sagte er, als in Leipzig seien die Menschen dort. Und er ist kein gebürtiger Leipziger sondern zog vor über zwanzig jahre aus dem Wessiland zu.

    Ich wünsche Dir elefantösfeine Tage mit allen, die Deinem Herzen nahe sind.

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  2. Dirgis (Sigrid) schreibt:

    Naja, die Dresdner sind schon immer etwas behäbig. Merkt man ja auch an der Aussprache 😉

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  3. Trude schreibt:

    Zum Glück bin ich auch kein geborener Dresdener und sage noch heute stolz: ich bin Chemnitzerin (und rede auch noch so – liebe Sigrid *feix*).
    War am Montag auch unterwegs, aber im Stadion mit dem Kreuzchor, war sehr sehr schön. Der Heimweg weniger, weil ich auf der Neustädter Seite wohne und da lief eben jenes was hier beschrieben wurde, leider.
    Dir ein frohes Fest.
    Winke, die Trude.

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  4. freiedenkerin schreibt:

    Das liest sich irgendwie wie eine Satire – ist es aber leider eher nicht…

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  5. Zaphod schreibt:

    Dass bei den Cops haufenweise rechte Spacken rumlaufen habe ich schon immer geahnt, für die ist eine Pegida-Demo wohl so etwas wie Familientreffen mit Mandies. Deswegen fliegt das Gas auch immer auf die linke Seite..

    Für den Begriff „Jungvolk“ bin ich übrigens gerade abgewatscht worden, rutscht aber scheinbar nicht nur mir raus *g*

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  6. ostnomade schreibt:

    Hab ich was verpasst? Nee. Ich bin erst am Dienstag angekommen, habe gestern den Strietzel- und die anderen Märkte und das Adventsliedersingen in der Frauenkirche besucht. Für die Antipathie zwischen Dresdnern und Leipzigern habe ich noch nie was übrig haben können. Ich find´s eher belustigend.
    Da ich aber einige Bewohner der Neustadt kenne, wage ich doch zu behaupten, dass da genügend Potential für einen machtvollen Umgang mit Idioten vorhanden ist. Um ehrlich zu sein- mir ist es lieber, wenn sich alle Gegner erfolglos suchen und in ihren geteilten Wagons nach Hause pilgern als wenn wieder irgendwer sinnentleert verletzt wird. Oder soll ich glauben, dass Verhältnisse wie an jenem Sonntag in Leipzig normal wären oder geworden sind?

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