#Osterei

oder Vom Ei zur Demokratie

(dies ist ein Beitrag zu sunnys Blogparade Punkt.Punkt.Punkt.)

Mittwoch vor Karfreitag. Die letzte Deutschstunde vor den Feiertagen.

Wie immer bin ich 20 min eher da, um das Klassenzimmer auf die kommenden zwei Stunden vorzubereiten. Heute gehört ein Korb mit bunten Eiern dazu. Die habe ich am  Vormittag noch selbst gefärbt. Weil Ostern ist.

Wir werden ein bisschen über das fest sprechen, seine christliche Bedeutung, Bezüge zum Islam und Judentum und natürlich über heidnische Bräuche, den Osterhasen und das Ei. Und ganz nebenbei über den Passiv. Das Ei wird gefärbt. Das Ei ist gefärbt. Im Gegensatz zum aktiven ich färbe das Ei bzw ich habe das Ei gefärbt.

Die Schüler, erwachsene Männer und Frauen zwischen 25 und 45 Jahren, kommen aus Pakistan, Syrien, Libyen, Marokko, Afghanistan und Albanien.

Doch es kommt anders.

Wir sprechen über Ostern, die christliche Bedeutung, Bezüge zum Islam und Judentum, heidnische Traditionen und darüber, dass der Karfreitag in Deutschland sehr ernst genommen wird. So ernst, dass es keine Tanzveranstaltungen, Diskotheken usw gibt an diesem Tag.

Klar, Deutschland ist ja ein christlicher Staat.

Ich stutze.

Ein Missverständnis? Geboren aus Sprachdefiziten?

Nein. So wie XY ein islamischer Staat ist, so ist Deutschland ein christlicher Staat.

MOMENT.

Regierung, Religion, Parteien, Wahlen, Landtage, Städte und Gemeinden, Religionsfreiheit, Tierschutz und Schächten.

Ich entwerfe einen groben Plan der Dinge, wie sie hier laufen. Trennung von Staat und Kirche respektive Religion, Achtung religiöser Besonderheiten bzw Bedürfnisse. Die CDU, die sich zwar christlich nennt, aber keineswegs nur aus Christen besteht oder sich gar christlich verhält. SPD, Grüne, Linke und ja, leider auch die AfD.

Wir sprechen überhaupt nicht über den Passiv. Zwar hätte ich es mit einfügen können (Parteien werden/sind gewählt), aber meine Schüler haben gerade gar keinen Nerv für Grammatik.

Am Ende nimmt sich jeder ein gefärbtes Ei mit nach Hause, egal ob das nun in einem Heim oder einer Wohnung ist und Obada kommt und fragt: Lehrerin, fahren denn am Freitag Züge?

Da muss ich mir jetzt doch das Grinsen verkneifen, als ich dem durchaus besorgt drein schauenden jungen Mann antworte.

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11 Antworten zu #Osterei

  1. franhunne4u schreibt:

    Ja, auch wenn manche Leute das anders sehen und den Westen gern christlich hätten, WIR SIND KEIN CHRISTLICHER STAAT. Andererseits kann man die Verwirrung der Leute verstehen: Die Mehrheit der Gläubigen hier geht immer noch in eine der christlichen Kirchen. Die Kirche sitzt bei vielen Gremien noch mit drin (christliche Schulen, im Radio und TV mit Beiträgen vertreten, in der Bundeswehr gibt es Militärpfarrer, die Feiertage hier sind in der Regel solche der christlichen Kirchen und die ganze Geschichte ist auch immer wieder bis in die jüngere Zeit von Kirche mitgeprägt (ich sag nur Montagsdemos in Leipzig 1989 – gingen von den Kirchen aus – nicht offiziell, aber die Leute kamen von dort).
    Seit die Sachsen mit großer Grausamkeit missioniert wurden, hatten die christlich geprägten Eliten hier das sagen. Bis in die Aufklärung hinein sogar absolut. Danach schwächte sich die Macht der Kirchen ab, Napoleon mit seiner Säkularisierung räumte dann mal auf – letztlich aber bestimmt gerade in ländlichen Gebieten die Kirche immer noch die Moral.

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    • Inch schreibt:

      Naja, unsere ganze Kultur ist schon christlich geprägt. Die Moralvorstellungen auch. Wobei ich denke, dass die sich nicht von den Moralvorstellungen anderer Glaubensrichtungen unterscheidet. Gerade habe ich einen Beitrag über Kreuzritter und Templer gesehen und mich gefragt, ob die nicht sehr dem IS ähneln. Aber das ist nur so ein Gedanke am Rande.
      Ja, also christlich geprägt. Das ist klar und unumstritten. Ich glaube aber, die größte Verwirrung rührt daher, dass die derzeitige Mehrheitspartei und auch die in Bayern das christlich im Namen führen. Eigentlich wäre es an der Zeit, dass die Kirche als Institution und die Gläubigen sich dagegen verwahren.

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      • franhunne4u schreibt:

        Naja, wie du schon sagst, die Wertvorstellungen sind schon christlich geprägt. Was meinst du denn, wieso sich unsere Kanzlerin weigert, unseren homosexuellen Mitbürgern die gleichen Rechte einzuräumen, die die heterosexuellen schon lange haben? Den Menschen zu heiraten, den sie lieben? Mit diesem Menschen Kinder zu haben – sind ja nicht immer auch bei Heterosexuellen die eigenen? Von Steuer- und Erbschaftsrecht wollen wir gar nicht reden!

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        • freiedenkerin schreibt:

          Und von den „Ausgleichszahlungen“ aufgrund der Säkularisation, die vor zweihundert Jahren stattgefunden hat, die die Bürger/innen des deutschen Staates mehr oder weniger ungewollt nach wie vor an die Kirche abdrücken müssen – was für ein himmelschreiendes Unding! – ganz zu schweigen!

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  2. Frau Tonari schreibt:

    Das ist eine wunderbare Geschichte rund ums Ei.
    Hast Du für Deine Schüler Eier gefärbt? Finde ich prima.
    (Deutschland, ein christlicher Staat? Darüber lohnt sich noch ein wenig nachzudenken. Von christlichen Werten geprägt, würde ich sofort unterschreiben. Die direkte Kombination geht in meinen Augen auch nicht wegen der verfassungsrechtlich verankerten Trennung von Religion und Staat.)

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  3. Sandra schreibt:

    Hallo Inch,

    vom Passiv zu ganz anderen Überlegungen – toller Beitrag, Ich habe nun natürlich auch ein wenig darüber gegrübelt wie das so ist im Staate. Wichtig ist, dass der Grundgedanke aller Religionen (z.B. Liebe, Achtung, Zusammenhalt) Leitbild für unsere Handlungen bleiben sollte. Dann wäre es mir ziemlich schnuppe wie man den Staat benennt. Davon sind wir teilweise noch viel zu weit entfernt.

    Liebe Grüße und schöne Ostern
    Sandra

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  4. sophialone schreibt:

    Ich finde, das Christliche wird bei uns zwar verwaltungstechnisch sehr hoch gehängt, mit der praktischen Umsetzung hapert es aber hier und da. Wenn Religion und damit auch Christentum vom Staat getrennt und damit ins Private geschoben wird, dann frage ich mich z.B., warum man im Betrieb meiner Tochter Mitglied der christlichen Kirche zu sein hat und falls nicht, das ein Grund ist, seinen Vertrag nicht verlängert zu bekommen. Nur zum Verständnis: Es ist eine Hausverwaltung und Wohnungsbaugesellschaft, die allerdings die evangelische Kirche als einen Gesellschafter hat. Ich behaupte mal, die Mitarbeiter arbeiten kirchenzugehörigkeitsunabhängig gleich gut oder schlecht. Wenn dem Chef dann die Argumente ausgehen, den Mitarbeiter zu bahlten, nur weil er nicht Kirchenmitglied ist, ist sowas z.B. ein Armutszeugnis und zeigt dem Mitarbeiter doch nur, wie wenig seine Leistung wergeschätzt wird. Christlich ist anders, finde ich.
    LG Iris

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  5. sabienes schreibt:

    Ich bin schon der Meinung, dass Deutschland ein Christlicher Staat ist – trotz Säkularisierung und trotz der Tatsache, dass hier auch Menschen anderen Glaubens leben.
    Wenn auch sehr passiv christlich.
    Danke für den sehr interessanten Beitrag über deinen Alltag und der Notwendigkeit, auf die einzelnen Fragen der Schüler flexibel zu reagieren.
    Schöne Rest-Ostern!
    LG Sabienes

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    • Inch schreibt:

      Nein, da muss ich widersprechen. Deutschland ist sicher vom Christentum geprägt. Aber ein christlicher Staat ist es nicht. Weil ich denke, in dem Fall würden die kirchlichen Oberhäupter sehr viel offensiver in die Politik eingreifen. Und mit allen und vollem Recht. So fungieren sie eher, na sagen wir mal, als Berater und Mahner.

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  6. Zaphod schreibt:

    Uff. Gott sei Dank ist das kein christlicher Staat hier, sonst könnte man am Karfreitag nicht in irgendwelchen dunklen Rockschuppen abhängen *g*
    Mit den Templern und Kreuzrittern liegst Du übrigens richtig, die haben ähnlich gewütet wie der IS heute (hab da mal ein sehr interessantes Geschichtsbuch gelesen) aber das ist immerhin schon ein paar Jahre her, wir sollten uns weiterentwickelt haben. Eigentlich.

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