Die Passüberquerung (6.Oktober 2017)

Das Wasser ist eingefroren.

Jedenfalls an „unserer“ Toilette.

Bei den Gastgebern, scheints, nicht. Da gibt es Tee und Kaffee zum Frühstück. Ich überlege bei jeder Mahlzeit, was ich esse. Gekochtes. Nur gekochtes. Und zum Frühstück Brot. Meine letzten Riegel werden mich durch den Tag bringen müssen, ich stecke noch etwas trocken Brot ein und- natürlich- abgekochtes Wasser.

Heute steht der schwerste Tag bevor. Es geht über den Abanopass, 2926 m hoch. Und da liegt Schnee. Das ist sicher.

Bis zum Pass laufen wir manchmal auf „Straßen“, sehr oft einfach den Berg hoch. Über Wiesen, Geröll, durch Schnee. Das ist für alle anstrengend. Da, wo wir uns auf engen Serpentinen hoch mühen, ergeben sich wunderbare Fotomotive. Wenn wir in der Sonne laufen. In der ist es unten noch recht warm. Doch im Schatten spüren wir die Kälte. Und natürlich, je näher wir dem Pass kommen, um so kälter wird es. Auch in der Sonne. Ich begrüße mein Lieblingsschaf. Naja, es hustet. Vermutlich gibt es mehrere Schafe mit Husten. Eins läuft immer neben mir. Oder ich neben ihm.

Am Ende der Herde laufen die lahmen und noch kränkeren. Manchen tut es leid zu sehen, wie der Hirte sie antreibt. Aber das ist nun mal sein Job. Er hat dafür zu sorgen, dass alle mitkommen. Sehr schnell sind wir bergauf zwar nicht, aber wenn schaf krank ist… Ich weiß, wie das ist. Ich gehöre eigentlich ins Bett statt auf einen Viehtrieb.

Jeder sucht sich seinen Platz in der Herde und versucht ein bisschen, den Hirten zu helfen. Manchmal stubst Dir ein Schaf ans Bein. Manchmal stellt sich heraus, dass es einer der Hunde ist. Dann hoffst Du, dass es nicht die Mutterhündin ist. Die hat mich gestern angefallen. Das brauche ich nicht nochmal.

Die Landschaft ist atemberaubend schön. Die Sonne scheint und der Schnee blendet so, dass ich die Sonnenbrille gegen die Gletscherbrille eintausche.

Je mehr wir uns dem Pass nähern, desto dichter wird der Verkehr. Das ist, vor allem, wenn die Autos die selbe Richtung wie wir haben, immer etwas stressig, weil natürlich niemand will, dass ein Schaf über- oder angefahren wird, die Autos aber vorwärts kommen wollen. Auch die im Gegenverkehr sind oft ungeduldig und fahren statt einfach zu warten, bis wir vorbei sind. Aber klar, 1500 Schafe, das dauert, eh die vorbei sind. Und wer weiß, wie viele Herden noch unterwegs sind.

Kurz vorm Pass Mittag. Von der Motorhaube des Jeeps.

Und da passiert es.

Ein Schaf wird über- ein anderes angefahren.

Es gibt ein riesen Theater. Der Autofahrer ist ein Russe. Ich witzele: „Feindbild bestätigt“, bereue das aber sofort, denn die Reaktion unsere Schweizerinnen zeigt, die verstehen den Witz nicht. Für die sind wirklich alle Russen böse. Der Fahrer ist natürlich ein dummes Arschloch, keine Frage.

Totes und verletztes Schaf werden auf einen LKW gehievt, ein krankes, um das sich Tiko die letzten paar Kilometer gekümmert hat, darf auch mit hoch. 100 Lari wird der Fahrer dem Schäfer bezahlen. 100 Lari, das sind etwas über 30€.

Die Pferde ziehen an uns vorbei und die Rinder.

Als wir fertig sind mit dem Essen, gilt es, den Herden hinterher zu hasten. Das ist gar nicht so einfach, weil die Landschaft so schön ist, gerade nach der Passüberquerung, dass man ständig stehen bleiben und staunen möchte. Und fotografieren.

Dann hält auch noch ein Auto neben mir und  meine Bekannte aus Omalo springt heraus. Die Bäckerin, sie wissen schon.

Noch mal 15 min.

Jetzt aber rasch.

Ich könnte natürlich mit Lewan mitfahren, der sammelt die Hinterhergebliebenen auf. Aber nein. Heute nicht. Heute laufe ich alles.

Und die sich unter mir über die Serpentinen schiebende Herde bietet ja auch einen zu schönen Anblick. Als ích sie erreicht habe, mische ich mich wieder unter.

Lustig finde ich, wie Ziegen, Schafe und Hunde die Aussicht genießen. Manchmal stehen sie am Abhang und schauen in die Landschaft. Das ist zu putzig. Als wieder Grashalme zu finden sind, haben erstere natürlich keinen Blick mehr für die Schönheiten des Kaukasus, sondern kraxeln in halsbrecherischen Aktionen zu diesem oder jenem Halm.

Und dann, am Nachmittag, ist es vorbei. Wir sind auf etwas über 2000m. Die Hirten treiben die Herde vom der Straße weg auf einen Hang. Tiko packt ihnen, den Hirten, eine Kiste voll Lebensmittel aus dem Jeep. Und Tschatscha natürlich. Es heißt, Abschied zu nehmen. Und Danke zu sagen. Und alles Gute zu wünschen. Denn wer weiß schon, wie die Zukunft der Hirten ist? In den Tälern , wo sie jahrhundertlang nach dem Prinzip „Wer zuerst da ist, weidet hier“  ihr Vieh versorgten, müssen sie nun Pacht bezahlen an irgendwelche ominösen Grundbesitzer.

Wir quetschen uns in Lewans Jeep und fahren einen kleinen Seitenweg hinunter zum Thermalbad.

Und vorher kommt eine Toilette. Eine Wassertoilette. Es gibt sogar für Damen und Herren getrennt. Zwei Häuschen über eine Quelle gebaut, in die man dann kackt. Ich bin so froh, dass ich nur abgekochtes Wasser getrunken habe.

Das Bad ist einfach und heiß. Es gibt drei Kabinen mit Becken. Und es entlockt uns Schreie höchsten Wohlgenusses.

Eigentlich wollte ich im Hotel eine Stunde duschen. Aber nach dem Thermalbad reichen vielleicht 10 min. Zum Hotel in Kachetien braucht es noch mal 2 Stunden mit den Jeeps. Und es ist genauso, wie wir es heute wollen und brauchen. Weiße Bademäntel, weiße Hausschuhe, weiße Handtücher.

Wir treffen uns eine Stunde später zum Festessen.

Und stellen entsetzt fest, dass Lewan schon weg ist. Tiko, das haben wir mitgekriegt, uns verabschiedet, aber Lewan? Das ist ein bisschen blöd. Das hätte uns jemand von den Veranstaltern sagen sollen. Schließlich hat er uns die ganze Zeit begleitet, das Gepäck und Essen gefahren. Und mich. Und uns. Wir werden noch ein Geschenk ins Büro des Reiseveranstalters bringen. Ein Geschenk für Lewan. Jetzt geht es uns besser. Und wir können feiern. Ich feiere mit, denn mir geht es auch besser.

Denke ich jedenfalls.

Fotos, wie immer. Draufklicken und groß gucken.

Über Inch

www.inch.beep.de
Dieser Beitrag wurde unter Wanderlust abgelegt und mit , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

10 Antworten zu Die Passüberquerung (6.Oktober 2017)

  1. freiedenkerin schreibt:

    Das sind ungemein fesselnde und wundervolle Aufnahmen… Und dein Text dazu – was für ein Abenteuer!

    Like

  2. Karen schreibt:

    Aber man darf mir doch nicht solche Fotos zeigen – Berge UND Schnee UND Schafe…! *hachz*

    Like

  3. Vinni schreibt:

    Großartige Fotos!
    (ich selbst wär für sowas viel zu weicheiig)

    Like

  4. Zaphod schreibt:

    Sensationell! Und natürlich wäre ich dafür auch viel zu weicheiig, deswegen bin ich ja froh dass Du diese Touren machst :D. Bei der Landschaft hätte ich wohl auch als Hund oder Schaf große Augen gemacht.

    Like

  5. Dirgis (Sigrid) schreibt:

    Traumhafte Bilder! Einerseits kribbelt es in den Füßen, das nachzumachen, andererseits bin ich wohl auch das zu große Weichei dafür.
    Aber jetzt verstehe ich, warum mein Großvater immer wieder vom Kaukassus geschwärmt hat.

    Like

Hinterlasse eine Antwort zu Inch Antwort abbrechen