Pendeln im Sturm

Es ist kurz nach 3. Gerade hat ein Teilnehmer am Projekt das Büro verlassen, gegen 16:30 erwarte ich den nächsten. Ich arbeite gerade das letzte Beratungsgespräch auf, da fliegt die Tür auf und meine Nachbarin in meinem Büro in einer sächsischen Kleinstadt, Chefin einer Steinmetzfirma, fordert mich auf, nach Hause zu fahren. Ob ich denn  nicht das Wetter bemerkt hätte? Doch, habe ich, und gerade überlegt, ob ich bis 19:00 Uhr bleibe, wenn der Sturm hoffentlich durchgezogen wäre.

Sind Sie verrückt? Die Schulen im Landkreis schicken alle die Kinder nach Hause. Bei Sturm, da fährt irgendwann kein Zug mehr.

Ach Du Scheiße! Sie hat Recht. Ich packe hastig zusammen, verschließe die Akten, schnappe Laptop und Fahrrad und eile zum Bahnhof.

Genau 1 min vor Abfahrt des Regionalzuges stehe ich auf dem Bahnsteig. Da tut sich nix. Dann nach 10 min die Durchsage, dass er sich 15 min verspätet. Kann ich ja noch in Ruhe ein Ticket ziehen.

20 min.

Die S-Bahn kommt irgendwie auch nicht. Dann endlich der Zug.

Kaum drin die Durchsage des Lokführers. Wegen irgendwas auf der Strecke, die nur noch eingleisig befahrbar ist, bleiben wir erst mal stehen.

Ein bisschen später heißt es dann, bis 19:00 Uhr geht nichts mehr wegen Schäden zwischen einer anderen und dieser sächsischen Kleinstadt.

Ich fange an nachzudenken. Vielleicht sollte ich doch bis 19:00 Uhr zurück ins Büro? 18:00 Uhr habe ich einen sehr wichtigen Telefontermin. Den kann ich unmöglich im Zug, mit Fremden links und rechts und vor und hinter mir wahrnehmen.

Da sagt der junge Mann gegenüber: Es gibt einen Bus in eine 3. sächsische Kleinstadt. Von dort fährt ein Bus nach Leipzig. Noch.

Ich rase zurück ins Büro, schließe das Rad im Haus ab und rase zurück zum Bahnhof. Warten im Sturm. Es ist saukalt. Nicht mal rauchen kann man bei dem Wind richtig. Gegenüber weint ein junges Mädchen, es scheint etwas behindert zu sein, dass sie nicht nach Hause kommt. Aber die Busse fahren. Nur eben mit Verspätung. Weil Bäume auf Straßen rum liegen.

Auch unserer – auf dem Weg von der 3. sächsischen Kleinstadt hierher legte sich ihm so ein Baum in den Weg. Hoffen wir, dass jetzt alles gut geht. Ob wir sicher seien, dass noch einer nach Leipzig geht? Nein. Aber wir denken positiv.

Der Bus schaukelt durch den Sturm wie eine Nussschale über einen windgepeitschten Ozean.

Und unser Fahrer gibt Gas. So gut es eben geht. Er tut alles, dass wir nach Hause kommen. Irgendwie. 5 Leute sind wir, die wir den Zug verlassen haben.

Inzwischen, sagt das Internet, liegt der gesamte Zugverkehr lahm. Gut, dass ich nicht im Büro hocke.

In der 3. sächsischen Kleinstadt kommen wir zum stehen. Zwei irgendwelche Baufahrzeuge oder so stehen vor uns in einer Kurve. Der Busfahrer schimpft wie ein Rohrspatz. Die gährn de Straße. Ich globs nich. Die hamm wörklisch geene Sorschn. (Straßenkehrfahrzeug vor uns). Manche Dinge muss man wirklich nicht verstehen.

Bahnhof. Danke Busfahrer. Gute Heimfahrt!

Hier fahren Busse. Bestimmt auch unserer. Ein Reisebus fährt vor. Viele Menschen steigen aus. Dann die Fahrerin. Will jemand in eine 4. sächsische Kleinstadt? schreit sie gegen den Sturm an.

Langsam nähern sich ungläubige Reisende. Fragen noch mal nach. Steigen ein.

Dann endlich ein Bus. LEIPZIG. Wer hätte gedacht, dass ich mich mal so über einen Bus freue, lacht das Mädchen aus der Reisegruppe, der temporären, die sich in der sächsischen Kleinstadt gebildet hat. Ich bedanke mich bei dem jungen Mann. Noch sind wir nicht da, wiegelt der ab. Aber es steht LEIPZIG auf dem Bus. Das reicht mir schon zur Freude, entgegne ich.

Der Bus schwankt über Landstraßen.

In Leipzig. Hier ist nix, drehe ich mich zu dem jungen Mann um. Er nickt. Dann fahren wir an einer Baustelle vorbei. Hier war wohl doch was.

4 Stunden nach dem ich etwas überhastet das Büro verlassen habe, stehe ich auf dem Hauptbahnhof. Von hier aus könnte ich zur Not sogar laufen. Aber Straßenbahnen fahren. Und Stadtbusse sowieso.

Danke liebe temporäre Mitreisende. Es war angenehm, mit Euch unterwegs zu sein.

 

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4 Antworten zu Pendeln im Sturm

  1. Frau Tonari schreibt:

    Der Sohnemann absolviert gerade seine erste Parktikumswoche bei der Bahn. Da erlebt er nun Dinge und macht Erfahrungen, die andere in einem Jahr nicht zusammen bekommen. Sturmerprobt werden seine ersten Tage sein. 😉
    Wir haben gerade den Wochenendtrip mit der Bahn nach NRW absagen müssen udn die Tickets storniert. Unser Zug würde nicht mal am geplanten Ausstiegsbahnhof halten, so schreib die Bahn auf der Homepage.

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  2. freiedenkerin schreibt:

    Wenn ich so lese, was anderswo weiter nördlich alles geschehen ist, bin ich heilfroh, dass wir südlich der Donau so ungemein glimpflich davon gekommen sind…

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  3. wildgans schreibt:

    Sturmbedingt haben sich Leute getroffen und näher kennengelernt…
    Klasse!
    Gute Intuition gehabt!
    Gruß von Sonja

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