Schnee, Demos und kein Netz

Es fängt an zu schneien. Nicht, dass es nicht schon die ganze Zeit kalt wäre. Aber jetzt fängt es auch noch an zu schneien.

Es ist Montag und ich bin mit Freunden auf der Demo gegen AfD, Rechtsextremismus und Werteunion. Es sind wohl ein paar mehr Leute gekommen, als erwartet. Die Hainspitze ist rappelvoll und die Nebenstraßen auch.

Und es ist kalt.

Eigentlich wollen wir nach der Auftaktkundgebung durch die Innenstadt zum Markt mit Zwischenkundgebung und dann zum Kleinen Wilhelm- Leuschner- Platz zum Abschluss laufen.

Aber es sind zu viele Leute da.

Es wird umdisponiert und nun geht es über den westlichen Ring zum Simsonplatz.

Wow. Wirklich viele Leute.

Und es ist kalt. Und jetzt fängt es auch noch an zu schneien.

Ich war zu lange nicht auf Demos im Winter. Am Abend. Ich bin zu dünn angezogen. Trotz Wattemantel und gefütterter Hose.

Beim revolutionären Abschlussgetränk in einer Kneipe in der Karli ist mir dann dafür recht warm.

10000 Leute haben die Veranstalter:innen gezählt.

Leipzig rockt.

Dienstag muss ich dann zur Bundepolizei meine Zeugenaussage machen. Ich hatte im September gesehen, wie zwei Security einen farbigen jungen Mann schlugen und hatte damals Anzeige erstattet. Aber das ist eine andere Geschichte. Die hat mit Schnee nichts zu tun.

Die Woche plätschert dahin. Ich müsste in den Garten, den Olivenbaum gießen. Aber bei Schnee durch den Garten stapfen? Nee

Am Freitag kommt der Kleine König. Die Prinzessin besucht lieber eine Freundin.

Gleich hinterm Haus ist die „Warze“, ein Hügel im Clara- Park. Da rodelte schon die Uroma.

Und heute gefühlt alle Kinder aus Leipzig. Ich fahre eins um. Das steht aber wieder auf und rodelt weiter. Der Kleine König hat am meisten Spaß, wenn er am Ende vom Schlitten fällt. Notfalls wird nachgeholfen.

Wir bleiben bis es dunkel wird und wir wirklich nichts mehr sehen. Andere Kinder inkl. Eltern bleiben noch.

Am Samstag gehen wir natürlich bei Sonnenschein rodeln. Und nehmen die Mitbewohnerin mit. Die kommt aus Syrien und hat einen Heidenspaß. Habe ich ihr ja gesagt, Sie zweifelte kurz.

Sonntag.

Der Kleine König ist Thomaneranwärter und die singen heute in der Thomaskirche. Beim Familiengottesdienst. Also mache ich mich in die Spur. Beginnt ja zum Glück erst 11:00 Uhr. Die Uroma kommt auch.

Danach im Gemeindesaal Brunch. Aber wir können nur ne Stunde bleiben. Denn 15:00 ist die nächste Demo gegen Deportation und Verschärfung des Asylrechts auf dem Markt. Die Uroma fährt nach Hause und ich laufe mit beiden Enkeln zu mir. Ich ziehe mich ordentlich warm an.

Ordentlich warm.

Eine Kombi aus Bergsteigersachen und Skilanglaufunterwäsche. Rennen kann ich damit nicht. Aber frieren hoffentlich auch nicht.

K1 kommt und wir laufen zum Markt.

Ich finden den Markt ja schlecht gewählt, weil ich glaube, heute kommen viele. Mit uns strömt es jedenfalls durch den Park Richtung Innenstadt. Die Busse sind überfüllt und von Freunden, die aus dem Umland kommen, höre ich, die S- Bahnen auch.

Aber auf dem Augustusplatz steht ein Riesenrad und sonstige Belustigung.

Also Markt.

Es gibt einen Bereich vorm Alten Rathaus, da sollen sich Familien mit Kindern aufhalten. Da treffen wir auch andere bekannte Familien und Kinder. Meine Freunde treffe ich nicht. Auch nicht die aus Syrien. Weil das Internet ist tot.

Tot!

Und wir hören auch nichts, wirklich gar nichts, von den Redebeiträgen. Es ist einfach zu voll. Wieviel Menschen passen auf den Markt? Wie viele stehen in den Nebenstraßen?

Dafür dass mensch nichts hört, gibt es viel zu viele Redebeiträge. Eine Stunde lang. EINE STUNDE. Das ist viel zu viel und viel zu lange. Auch wenn mir diesmal wirklich nicht kalt ist. Dafür gibt es hier die schönsten Plakate der ganzen Demo zu sehen. Da bin ich ganz sicher.

Dann endlich, so 16:15, scheint es los zu gehen. Wir rücken ein Stück vor, stecken fest, versuchen irgendwie seitlich rauszukommen. Wir stecken fest. Eine halbe Stunde geht das so. Der Kleine König schwört, dass er mit K1 nie mehr auf ne Demo geht.

Ich sehe einen Typen, der auf so einer Mauer steht und ein syrische Fahne schwenkt. Der wird binnen Sekunden zurückgepfiffen und steckt das Ding ein. Am Curry- Cult sollen ein paar ihre eigene Free Palästina Demo veranstaltet haben. Ich hoffe, die wurden genauso schnell zurückgepfiffen.

Dann gelingt es uns, seitlich rauszukommen. K1, Mann und Enkel scheren noch weiter aus und gehen nach Hause.

Ich kürze ab, denn die Demoroute vorbei an der Thomaskirche zum Ring scheint verstopft.

Ich laufe durch die Innenstadt zu den Höfen und von da auf den Ring. Da ist der Anfang der Demo schon nicht zu sehen. Du liebe Güte, wie viel Leute sind das?

Aber ich habe wieder Netz und frage die Freunde, wo sie sind. Dann spurte ich immer weiter vor und halte nach ihnen Ausschau. Könnte ja sein.

Am Johannisplatz ist schon alles voll. Und doch dauert es noch 20 min, eh der letzte Demoteilnehmer da ist.

Die Nachrichten der Freunde trudeln ein. Die stehen AM Markt. Na jetzt sicher nicht mehr. Und die Syrer wollen wissen wo ich bin. Das wollten die vor 2 Stunden wissen. Jetzt sind alle auf dem Heimweg. Weil ihnen kalt ist.

Ich habe den Kampf ums wärmste Outfit definitiv gewonnen.

Und im Netz lese ich: 70000. 70000 Leute waren auf dem Markt oder eben in einer der Nebenstraßen.

Stabil.

Über Inch

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10 Antworten zu Schnee, Demos und kein Netz

  1. Es tut sich endlich was. Noch vor einigen Wochen hätte ich das nie für möglich gehalten. Hier in München sagt man, es seien an die 200.000 bei der Demo gestern gewesen. Zuverlässig schätzen könne man das wegen der gewaltigen Menschenmenge allerdings nicht. Nach einer Stunde wurde die Kundgebung abgebrochen.

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  2. Dirgis (Sigrid) schreibt:

    In Chemnitz waren es gestern lt. Veranstalter 12.000 (!). Das ist für diese Stadt echt viel. Noch viel wichtiger waren aber die Demos in vielen kleineren Städten.

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  3. Robert schreibt:

    Wie schön ist das. Mit Enkel und Schlitten in der Winterlandschaft. Das pralle Leben.

    Was die Demos betrifft, freue ich mich natürlich, dass sich da was tut. Wir gehen jedoch Wahlen entgegen, da formieren sich laut Statistiken enorme Gegenkräfte. Ich will aber nicht verzagen.

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    • Inch schreibt:

      Was mich besonders freut, ist, dass auch in kleinere Städten die Menschen sich formieren. Das hat hier im Osten in manchen Regionen schon (leider) fast etwas mit Mut zu tun.
      Und ja, gut dass wir rodelten.. pünktlich zum Montag taute alles weg

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  4. Zaphod schreibt:

    Stabil! Wär ich körperlich stabiler wär ich in Hamburg auch dabei gewesen, das muss ähnlich eng gewesen sein. Wenn ich mir das so durchlese bist Du glücklicherweise immer noch so fit wie’n Turnschuh, ich hätte das keine Stunde durchgehalten.

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  5. Käthe Knobloch schreibt:

    Liebe Inch, danke auch für Deinen Bericht aus der wildlieben Stadt. Es ist einfach wichtig und wohltuend, solche Bilder zu sehen.
    Ich habe nun endlich auch Deine Fährte aufgenommen und lese mit.
    Alles Liebe aus dem Zweistromland,
    Käthe Knobloch

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    • Inch schreibt:

      Liebe Käthe. Da wäre mir dein Kommentar doch fast unter die Räder gekommen. Ich begrüße Dich recht herzlich hier und bitte um Geduld. Ich bin in letzter Zeit doch mehr beschäftigt als erwartet

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